Titel Fleischmann S6
Berichtsart Modellkritik
Kurzbeschreibung  
Autor Christoph Oboth
Modellkritik: Fleischmann S6

Um es vorwegzunehmen: Ich bin begeistert. Schon beim allerersten Anblick des Modells war die Kaufentscheidung schon gefallen. Es reichte, auf der Kölner Messe die Maschine in respektvollem Abstand in der Vitrine zu sehen - kurz: Da stand etwas, was äußerlich an Kleinserienqualität heranreichte!

Einiges zum Äußeren

Es gibt nicht viel, was beim Modell im Vergleich zu Vorbildaufnahmen abweicht. Am augenfälligsten: Das Fleischmannmodell wirkt einfach zu gut gepflegt. Ansonsten stimmt fast alles 100% überein. Sogar die leichte Schiefstellung des vor der Radebene liegenden Bremsgestänges ist exakt authentisch und keinesfalls etwa ungenau gearbeitet. Halt! Beinahe hätte ich vergessen, daß der Fangbügel für die Treibstange fehlt. Warum eigentlich??? Bei Fleischmannmodellen ist an sich immer eine auffallend zu hoch angelegte Pufferbohle zu bemängeln, was diesmal allerdings keinesfalls zutrifft. Auch die Spurkränze sind vergleichsweise zierlich, wenn auch nicht wirklich klein. Ganz besonders überzeugend wirkt die Ansicht direkt von vorne: bei einem Großserienmodell habe ich noch nie erlebt, daß die Zylinder auch nur annähernd vorbildgetreu eng am Fahrwerk liegen. Hier schon. Ganz unglaublich. Die Zylinder ragen nur ganz knapp über die Umlaufbleche hinaus! Stellt sich natürlich die Frage, wie sich dies kurventechnisch auswirkt. Und auch hier wieder gänzlich unerwartete Überraschungen: Das Vorlaufgestell schwenkt nur minimal aus (selbst bei Fahrten durch eine auf Abzweig stehende Weiche!), fast ließe sich behaupten, auch in Kurven stehen die Radsätze des Drehgestells in einer Flucht mit den Treibachsen. Vergleichbares ist mir noch nicht untergekommen. Das Vorlaufgestell ist mehrfach beweglich gelagert: Es ist nicht etwa so, daß ein mehr oder weniger weiträumig ausgeschnittenes Vorlaufgestell sich um den Drehzapfen bewegt, vielmehr ist der Drehzapfen selbst beweglich gelagert und kann sich in einer Führungsnut - vergleichbar der Kulissenführung einer Kurzkupplung - schräg seitlich nach vorne verschieben. Klasse.

Fahreigenschaften

Die Begeisterung legt sich auch beim Aufdrehen des Fahrpults erst einmal kein bißchen. Das Modell gleitet fast geräuschlos über die Schienen. Dabei liegt es geradezu unglaublich ruhig im Gleis. Kein Wackeln, nichts, nicht einmal auf Weichenstraßen. Die Stromabnahme ist absolut überzeugend, und eigentlich könnte sich reinstes Wohlgefallen breitmachen - wenn nicht eine halbwegs glaubwürdige Höchstgeschwindigkeit schon bei nur sehr geringfügigem Aufdrehen des Reglers erreicht würde. Da stecken noch gewaltige Reserven drin - Wer sich traut, kann ja einmal Volldampf geben... Unverständlich, warum eine derartig dramatisch überhöhte Endgeschwindigkeit sein mußte. Die Lok liegt dann zwar immer ruhig wie ein Brett im Gleis, aber man erwartet förmlich, daß die Maschine in hohem Bogen aus der Kurve fliegt. In diversen Veröffentlichungen wird stets betont, daß sich die Endgeschwindigkeit noch im Rahmen hält, aber dem kann ich ganz und gar nicht zustimmen. Hier hätte eine andere Getriebeübersetzung sicherlich Wunder gewirkt, zumal auch die Mindestgeschwindigkeit nicht unbedingt als schleichend zu beschreiben ist. Recht ruckartig setzt sich die Maschine in Bewegung, um dann allerdings wieder extrem ruhig dahin zu gleiten. Dafür ist der Auslauf aus rasanten Höchstgeschwindigkeitsfahrten gewaltig (auch bei Normaltempo bleibt der Zug nicht abrupt stehen, wenngleich natürlich nicht unbedingt eine ganze Loklänge ohne Strom zurückgelegt werden kann).

Eine wesentliche Änderung der Fahreigenschaften mit zunehmender Betriebsdauer war bislang nicht zu beobachten, wobei natürlich gesagt werden muß, daß bisher nicht wesentlich mehr als 30 Minuten gefahren wurden. Jetzt schon ist allerdings abzusehen, daß über kurz oder lang einige der zahlreichen Details "dran glauben" müssen. Vernünftig läßt sich die S6 jedenfalls kaum anfassen. Immerhin - Zurüstteile brauchen nicht angebaut werden. Fragt sich nur, warum keine Bremsschläuche und keine Kolbenschutzrohre beigelegt wurden. Bei der beschriebenen Konstruktion des Fahrwerks wäre auch auf Handelsüblichen Radien ein Einsatz mit Kolbenschutzrohren ohne weiteres möglich, und der 36-cm-Radien-Freak wird auch nicht unbedingt ein so teures Modell anschaffen...

Fazit

Eine große offene Frage schwebt über allem: Was soll man eigentlich mit einer Lok, die bereits bis 1930 ausgemustert wurde , auf einer Epoche-3-Anlage? Egal!!! Jetzt stört nur noch, daß man sich wenigstens ein paar Wagen in Reichsbahnversion anschaffen muß...wenn es nicht gar zu blöd aussehen soll. Von mir ergeht an dieser Stelle jedenfalls ein uneingeschränktes Lob. Ganz billig ist das der Spaß freilich nicht: Mindestens 339 DM wollen aufgebracht sein, wobei natürlich Preise von über 400 DM eher die Regel sind. Zwei kleine Fragen noch: Warum ist Fleischmann wieder zu einem reinen Styroporkarton übergegangen? Und wann kommt endlich eine P4.2?